Operation 5 minus by Charlotte Inden

Operation 5 minus by Charlotte Inden

Autor:Charlotte Inden
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2014-01-29T05:00:00+00:00


11

Vielleicht hielt mich Herr Doktor Biglmaier für einen schrecklich wohlerzogenen Knaben. Immerhin sah ich mich gar nicht neugierig um, als ich in seinem Wohnzimmer saß. Nicht ein Seitenblick entkam mir! Auch die Füße hatte ich mir ordentlich abgetreten, einen Diener gemacht und saß nun, meine Knie umklammernd, zwischen den bunten Kissen und schaute dem Biglmaier stur in die Augen.

Also genaugenommen guckte ich genau zwischen seine Augen, auf den Nasenrücken nämlich, knapp unter die Nasenwurzel, dorthin, wo in der Schule immer seine Brille sitzt. Direkt in die Augen, das wagte ich nicht.

Dabei war er durchaus nicht unfreundlich, der Herr Doktor. Immerhin hatte er mich ja hereingelassen. Und mir sogar etwas zu trinken angeboten. Ich trank von derselben Bio-Zitronenlimonade wie neulich. Aber das wusste der Biglmaier natürlich nicht. Er wusste auch nicht, dass ich mir sein Wohnzimmer schon mal ganz genau angesehen hatte.

Denke ich. Denn das hätte er sich doch sicher anmerken lassen. Er sagte aber nicht: »Ach Johan, willst du wieder meiner Tochter auflauern?« Er sagte: »Guten Abend, Johan, womit habe ich die Ehre deines Besuchs verdient?«

Also sagte ich es ihm.

Nein, regt euch nicht auf, ich erzählte ihm nichts von dem neuen Vorhängeschloss an der Hüttentür, nichts von dem Erpresserbrief und auch nichts von der Fotowand im Goldenen Löwen. Ich erzählte ihm nur vom Matze.

Es fiel mir erstaunlich schwer.

Vielleicht wenn ich lügen könnte, dachte ich mal wieder, während ich durch die Sätze stolperte. Mir etwas ausdenken! Aber das ging ja nicht, ich musste dem Biglmaier die Wahrheit sagen. Und ihn bitten, es nie zu verraten. Weil der Matze das ganz schrecklich finden würde.

»Der Matze«, sagte ich zum Biglmaier, »hat nämlich Probleme.«

Das nahm der Biglmaier schweigend zur Kenntnis.

Logisch, dachte ich nervös, der kennt ja Matzes Klassenarbeiten.

»Nicht in Mathe, meine ich«, sagte ich deshalb und erinnerte mich an den Grafen. »Und auch nicht in Latein.«

»Du meinst, er habe keine Probleme in meinen Fächern?« Der Biglmaier sah milde überrascht aus.

»Doch«, beeilte ich mich zu sagen. »Aber das sind nicht die schlimmen. Also nicht die wichtigen.«

Jetzt kriegte der Biglmaier zwei Falten über der Nasenwurzel.

»Also ich meine nicht, dass Mathe und Latein nicht wichtig sind«, stotterte ich.

»Nein?«, sagte der Biglmaier. »Und da hätte ich das doch beinahe angenommen.«

Meine Hände waren so nass, dass ich froh war, kurze Hosen zu tragen. Nackte Knie kriegen keine Schweißflecken! Stattdessen versuchte ich es noch mal. »Verstehen Sie, wenn der Matze sitzen bleibt, das wäre ganz schlimm.«

»Das kann ich verstehen.«

»Nein.«

Die zwei Falten über der Nasenwurzel vertieften sich.

»Ich meine«, beeilte ich mich hinzuzufügen, »das wäre noch anders schlimm, als Sie wahrscheinlich denken.«

»Ach so?«

»Also, nicht nur würde der Matze sich schlecht fühlen und Ärger mit seinem Vater kriegen, also noch mehr Ärger als er eh schon hat …«

Ich stoppte mich schuldbewusst und fing neu an. »Wissen Sie, wenn der Matze sitzen bleibt, muss er von der Schule. Hat sein Vater angekündigt. Aber das ist auch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass wir ihn dann nur noch an den Wochenenden sehen. Den Matze. Und das ist zu wenig. Für uns. Aber auch für den Matze.



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